Jägerhansl am Senkele

Der Jägerhansl auf der Senggele.

Auf der Senggele, einem langgestreckten, größtenteils mit Gebüsch und Wald bewachsenen Bergrücken zwischen Enzenstetten und Roßhaupten, hauste früher der Jägerhansl. Er hatte einen großen, breitkrempigen Hut auf, der ihm "bis zu den Achseln" herabhing, und ritt gewöhnlich auf einem Schimmel, den er meist am Senggelebrunnen tränkte. So sah ihn einmal ein Bub, der in dem Gesträuche den Schwarzblättchen "gerichtet" hätte, wie er ganz in der Nähe auf einer uralten Mähre an ihm vorbeiritt. Er saß ganz schlapp droben, und so oft das Roß einen Schritt machte, machte er auch mit dem Kopfe einen "Schnaggler". Langsam ging es auf dem schlechten Wege dahin; dann aber wich auf einmal der Gaul vom Wege ab und schritt einer abstürzenden Felswand zu, über die hinaus er einen wilden Sprung in den Abgrund machte. Der Junge glaubte nicht anders, als Roß und Reiter müßten nun zerschmettert unten liegen. Wie er aber gleich darauf an der Stelle nachsah, waren beide verschwunden und auch nicht mehr die geringste Spur irgendwo davon zu entdecken.

Aber auch sonst ist der Jägerhansl schon von vielen gesehen worden, und manche behaupteten, sein Schimmel habe gar keinen Kopf gehabt. Er verfolgte die Leute zuweilen bis zur "Roßfälle" oder andererseits bis gegen Roßhaupten oder Hopfen und "verführte" sie oft so, daß sie Weg und Richtung verloren und dann stundenlang herumirren mußten, ehe sie sich wieder zurecht fanden. Darum hat aber auch der Hundertste früher nicht allein durch die Senggele gehen mögen, insbesondere am Abend oder zur Nachtzeit, und noch heutzutage werden Leute, die dort zu tun haben, zuweilen scherzweise gewarnt, sich vor dem Jägerhansl in acht zu nehmen.

Wenn der Jägerhansl der Jagd oblag, so ging es gar wild her und an ein Rauschen und Tosen, als tobte der stärkste Sturm, und dabei hörte man weithin, selbst bis nach Seeg mit gellender, wilder Stimme "hio! ho! hio ho!" rufen. Manche meinten, das sei eigentlich der Ruf der "Wilden
Jagd" überhaupt gewesen. Am öftesten soll man ihn in Enzensberg beim Höfler bemerkt haben, wie er im Wald oberhalb des Hauses jagend vorbeisauste, daß die Äste krachten und abknickten, und zwar sei das dann gewöhnlich zur Mittagsstunde vorgekommen. Wenn der Jägerhansl überhaupt am hellen Tag erschien, so war das gewöhnlich um 12 Uhr herum, und dann hörte man im Senggele-Wald oftermalen ein fürchterliches Krachen und Prasseln in den Tannen, als würde der ganze Wald niedergestreckt, oder als wollte der stärkste Sturm alles niederreißen, wenn auch sonst kein Lüftchen wehte. Ein Förster, der zu dieser Zeit einmal in dem Walde war, konnte nicht schnell genug fliehen, so schrecklich ging es da zu, und auch sonst wollten schon viele solches wahrgenommen haben, wenn sie in der Nähe arbeiteten oder vorbeigingen. Sah man dann darauf im Walde nach, so konnte man nie eine besondere Veränderung oder sonst etwas Verdächtiges entdecken.

Oft hörte man den Jägerhansl bloß juchzen und johlen, aber auch da litt es keinen Spaß; denn wenn man "ihm angab", war er mit seinem Schimmel gleich zur Stelle, wie er überhaupt die Vorwitzigen gerne schreckte. So hatten ihn auch einmal Drescher bei Hopfen gehört, und in ihrem Übermute jauchzten sie ihm allesamt zu. Da kam er bis in die Tenne geritten. Die Drescher aber waren, als sie ihn kommen sahen, alle auseinander gesprungen und hatten fortan keine Lust mehr, dem Jägerhansl zuzujauchzen. - Auch in Langegg und in Hopferau soll er, wenn man das Korn drosch, öfters zur Mittagsstunde in die Tenne gekommen und durch das Stroh geritten sein.

Der Jägerhansl wechselte zuweilen seine Gestalt und erschien auch wohl ohne Schimmel. So sah man ihn oft "im Fels", einer Gemarkung bei Rieder, und auch bei Nußburg in einem gewöhnlichen Jägergewand und mit grünem Hütlein, wie er auf einem Baumstock (Strunk) saß und johlte, daß es nur so hallte und man seine Freude hätte daran haben können, wenn sein Kommen und Verschwinden und sein Wesen nicht gar so unheimlich gewesen wäre.

Einem Hirten soll er einmal lange Zeit des Nachts jedesmal das Vieh vom "Hofplatze" getrieben und es scheu und wild gemacht haben. Da ließ man die Hirtengeißel weihen, und sobald man bemerkte, daß das Vieh vor dem Jägerhansl in Unruhe geriet, mußte der Hirt vor die Hütte und mit der geweihten Geißel recht "schnellen" (knallen). Das half jedesmal und vertrieb den Jägerhansl, so daß alles wieder ruhig wurde.

Einige sagen, er sei zur Winterszeit in Rieder sogar öfters in eine Bauernstube gekommen, um sich zu wärmen. Dabei habe er sich aber jedesmal unsichtbar gemacht, so daß man eigentlich von ihm nichts sah und nur "hinterm Ofen vor hörte", wie er "hutsche, hutsche!" flüsterte, als wenn es ihn recht fröre.

Der Jägerhansl soll ursprünglich ein Förster gewesen sein, der die Hölzer auf der Senggele zu verteilen hatte. Dabei habe er die Leute betrogen und sich selbst bereichert, wofür ihn dann Gott in der Weise strafte, daß er auf der Senggele umgehen mußte.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 42, S. 50 - 53.

In der Geschichte vom Jägerhansl treffen sich verschiedene Figuren wie Teufel, Wotan, Gestaltwandler, Grüner Mann (Vegetationsheros) und Wilde Jagd. Vielleicht ist mit dem Sprung von der abstürzenden Wand auch ein Opferplatz angedeutet.