Weiße Wand Tannheim

Die drei verwünschten Jungfrauen von der Weißen Wand


Vor der Weißen Wand südlich von Tannheim erhebt sich ein einzelstehender, 50 - 60 m hoher Fels aus dem Boden. Von ihm sagte man früher, dass da ein Schatz verborgen liege und dass da auch drei verwünschte Jungfrauen seien. Einmal legte sich der Schafhirt neben diesen Felsen und schlief ein. Als er erwachte, war es Nacht geworden, und die Schafe waren verschwunden. Erschrocken sprang er auf, um die Tiere zu suchen. Da standen drei Jungfrauen vor ihm und trösteten ihn. Eine sprach: "Du brauchst dich um die Schafe nicht kümmern, denn sie sind gut versorgt." Er gab sich damit nicht zufrieden und wollte weggehen. Die Frauen baten ihn, doch zu bleiben und sie zu erlösen, denn sie seinen verwünscht. Folge er ihnen, so werde er den Schatz bekommen und ein reicher Mann werden. Den Hirt reizte der Schatz, und er blieb. Sie sagten ihm noch: Um sie zu erlösen, müsse er drei fürchterliche Dinge aushalten. Zuerst werde ein grauslicher Drache kommen, der einen langen Schweif nachziehe; er dürfe aber keineswegs zurückschauen. Habe er diese Probe glücklich bestanden, so werde es ihm vorkommen als wenn Felsen und Berge über ihn herfallen und erdrücken würden. Da dürfe er keinen Laut von sich hören lassen. Die dritte Probe sei aber so entsetzlich, dass man sie nicht beschreiben könne. Er soll aber mutig aushalten, es werde ihm nichts Übles geschehen. Darauf verschwanden die drei Jungfrauen. Die erste Probe überstand er gut. Als aber die Felsen und Berge krachten, schrie er laut auf. Er hörte nur noch ein Klingeln, als ob unendlich viele Geldstücke wegrollten. Die drei Frauen hörte er jammern und heulen.

Schon der Name "Weiße Wand" deutet darauf hin, dass es sich hier um einen Ort handelt, der eine uralte kulturelle Tradition hat. So wie die weisen Frauen im Laufe der Umwertung der Rolle der Frauen zu Hexen geächten gewurden, so sind auch die  "drei Fräulein" oder "Saligen" zu verwunschenen, erlösungsbedürftigen Frauen abgesunken.

Die Saligen sind die eigentlichen, ursprünglichen Herrinnen des Landes. Ihre Regentschaft wird meistens als paradiesischer Zustand des Glücks und des Einklangs geschildert. Erst wenn diese Ordnung zerfällt, werden die Kräfte der Felsen und Berge in chaotischer Weise entfesselt und es entsteht eine Weltuntergangs-Stimmung. Auch der Drache, der eigentlich ein Symbol für die Fruchtbarkeit der Erde ist, wird zu einem Monster, der die Menschen (repäsentiert durch den Hirten) verfolgt.

Den "Schatz" der hier verborgen liegt, ist kein materieller Schatz, sondern das Zurückfinden in den Zustands der Lebendigkeit und des Glücks, was den Menschen derzeit nicht möglich ist.