Die Unversehrtheit

 

Die Erde wurde von den Menschen als Göttin (bei den Griechen Gaia genannt) und heiliges Wesen gesehen, das die Menschen trägt, ernährt und schützt. Die Öffnung der Erde war daher ein Tabu-Vorgang, egal ob die Öffnung der Erde in Form einer Ackerfurche durch den Pflug geschah oder in Form einer Grabung für den Abbau von Erzgestein. War schon das erste Pflügen des Ackers im Frühjahr mit vielen Ritualen verbunden, wie viel mehr muss dies für die Öffnung eines heiligen Berges gegolten haben. Der heilige Berg war sowohl nach oben (Himmel) als auch nach unten (ins Erdinnere) in besonderem Maße der Zugang zu einer anderen Welt.

 

Selun, Sesam, Säuling, Similaun, Simsalabim

 

Selun ist der heilige Berg im Toggenburg/Schweiz. "Sesam öffne dich", ist die Öffnungsformel für einen Berg. Säuling ist der heilige Berg im Allgäu/Außerfern. Similaun ist der heilige Berg in den Ötztaler Alpen. Simsalabim ist ein Zauberspruch für Verwandlung. Die Wörter klingen nicht nur ähnlich, sondern sie lassen sich auch als zentrale Aussage des "Tor-Öffnungs-Rituals" beim Weltenwechsel der Schamanen in eine andere Ebene von Realität, Bewußtsein und Extase deuten.

 

Erzabbau

 

Der Zusammenhang von dem Gebrauch eines Verwandlungsworts dem Betreten einer anderen Wirklichkeitsebene ist in Bezug auf den Säuling auf den Bergbau zum Tragen gekommen. Die Öffnung der Erde, die Anlage eines Bergwerk und dem Betreten eines Stollens und damit das Betreten des Inneren des Berges kann als viel später entstandenen Spezialfall eines solchen Tor-Öffnungs-Rituals und Betretungs-Rituals zu einer anderen Welt gesehen werden. Sicher ist, dass die kulturell-spirituelle Erschließung von Erzabbau eine Erscheinung ist, die erst in den letzten zehntausend Jahren stattgefunden hat. Lange davor aber gab es jedoch die Bedeutung des Heiligen Berges wie auch die Weltenwechsel-, Toröffnungs- und Betretungs-Rituale in andere Welten hinein. Da es diese Rituale in allen alten Kulturen der Welt gibt, existieren diese vermutlich schon Jahrzehntausende, vielleicht sogar Jahrhunderttausende.

 

Kompetenz der Schamanen

 

Der Erzabbau und die Herstellung von bestimmten veredelten Stoffen daraus (Kupfer, Eisen etc.) war ursprünglich ein Vorgang, der absolut zum Innersten der Kompetenz der Schamanen (ursprünglich sicher vor allem Schamaninnen und Priesterinnen) gehörte. Das war nicht mit dem heute handwerklichen Charakter dieser Vorgänge vergleichbar. Es war Zauberei und Magie auf höchstem spirituellen Niveau. Das Aufkratzen, Aufgraben und Aufhämmern der Erde, des Bodens und des Felsens war ursprünglich ein absolutes Tabu für einen normalen Menschen und durfte nur von den Schamamen und Priesterinnen oder deren bevollmächtigte Gehilfen selbst vorgenommen werden. Genauso war die Weiterverarbeitung des Erzes ein heiliger Vorgang und für normale Menschen und Handwerker tabu. Bei der Betretung eines solchermaßen von den Schamanen angefertigten heiligen Stollens fand natürlich immer ein Weltenwechsel statt, und zwar nicht nur in eine Art Unterwelt oder Innenwelt des Heiligen Berges, sondern in eine grundsätzlich noch viel andersartigere Welt, als wir uns solch eine Unterwelt oder Innenwelt heute vorstellen. Wenn man die Heiligkeit dieses Vorgangs nachfühlt, dann kann man gut verstehen, dass dieser Vorgang immer mit den heiligsten Weltenwechsel-Ritualen und den damit zusammenhängenden Zauberformeln durchgeführt wurden. So kamen die Zauberformeln "Sesam öffne Dich" und "Simsalabim" dann sicher auch beim ursprünglichen Bergbau zur Verwendung.

 

Weibliche Wesen

 

Der Kontakt beim Erzabbau mit einer weiblichen Innenwelt des Berges spiegelt sich darin, das viele Erzgruben von weiblichen Wesen bewohnt werden. In Pinswang ist dies das Kratzerweible und in Musau das Knappenlochweible.