Heiliger Berg

 

Der Säuling kann als "Heiliger Berg" und "Weltensäule" bezeichnet werden. Seine spirituelle Bedeutung überragt die Berge der Umgebung bei weitem.

 

Matriarchat

 

Alle ursprünglichen Kulturen auf der Erde haben eine Muttergöttin in ihr Zentrum gestellt und alle Völker und Stämme suchten nach Ausdrucksformen der Großen Göttin in ihrem Lebensumfeld. Dies wird durch die Forschungen von Heide Göttner-Abendroth und Marija Gimbutas bestätigt. Als Schöpferin und Lebensspenderin war die Göttin der Mittelpunkt von Ritualen und Beziehungen.

 

Manifestation in der Landschaft

 

Für den täglichen Kontakt und Austausch fanden die Menschen eine Manifestation der Muttergöttin in der Landschaft. Es kann davon ausgegangen werden, dass alle heiligen Berge, die es auf der Erde gibt, als ein Ausdruck der Muttergöttin geliebt und verehrt wurden. Berge mit markanten oder weiblichen Formen oder besonderen Färbungen des Gesteins boten sich dafür an.

 

Hexentanzplatz

 

Ein weiterer Beleg für die Bedeutung des Säuling als heiliger Kultberg der Muttergöttin findet sich in den Hexensagen, die in Zusammenhang mit dem Säuling stehen. Auf dem Säuling selbst gibt es das Hexenbödele, einen uralten Hexentanzplatz.

 

Mircea Eliade

 

Die Bedeutung des Säuling als matriarchaler Kultberg kann somit nicht nur aus dem Namen Säuling = Säule abgeleitet werden, sondern sie bestätigt sich anhand der Forschungen von Mircea Eliade zu Schamanismus und Ekstase-Techniken. Eliade hatte herausgefunden, dass in allen ursprünglichen schamanistischen Kulturen bei allen Völkern der Erde im Mittelpunkt des Schamanismus und der Extase-Techniken die "Weltensäule" stand. Die Weltensäule war eigentlich immer ein Berg, der dann von den Schamanen aufgesucht wurde, um diesen zu besteigen und beim Besteigen des Berges die Welten ekstasetechnisch zu wechseln. Einen solchen heiligen Weltensäulen-Berg hatte jeder Stamm, wobei natürlich öfters auch mehrere Stämme den gleichen Berg als in dieser Art heiligen Berg hatten.

 

Bedeutung des Primizbaumkletterns

 

Im Dorf des Stammes hatte der Schamane jedoch immer auch ein kleines Abbild dieser Weltensäule, das magisch mit dem Heiligen Berg verbunden war. Diese kleine Weltensäule war dann entweder ein Baum oder ein senkrecht im Boden verankerter Baumstamm. In kleineren Bedarfsfällen ist der Schamane dann nicht auf den heiligen Berg gestiegen, sondern nur auf den Baum oder Baumstamm. Die Besteigung eines solchen Baumes inmitten des Stammes stand auch im Mittelpunkt der Einweihungsrituale eines neuen Schamanen. Der Einzuweihende musste seinen Stammesmitgliedern zeigen, dass er ein Schamane ist, dass er ekstasefähig ist und dass er fähig ist bei der Besteigung des Baumes die Welten zu wechseln. Dieses Ritual hat sich bis heute erhalten im Primizbaumklettern, das bei einem neugeweihten Priester stattfindet. Der Pfarrer ist in der christlichen Kultur an die Stelle des Schamanen getreten. Das Klettern auf den Primizbaum wird heute allerdings nicht mehr vom werdenden Priester, sondern von anderen, z.B. Jugendlichen vorgenommen. Bei der Besteigung des Weltensäulen-Baumes konnte der Schamane auch einen Weltenwechsel vornehmen, wenn auch nicht so mächtig wie bei der Besteigung des heiligen Berges selbst. In schwerwiegenden Fällen, zum Beispiel bei Gefährdung des Stammes durch Feinde oder durch todbringende Epidemien ist der Schamene auf jeden Fall auf den heiligen Berg gestiegen, auch wenn dieser vielleicht manchmal hunderte Kilometer entfernt war, und er erst mühselig zu diesem kommen musste.

 

Muttergöttin

 

Die Gestalt des Säulings prädestiniert den Berg dazu, von den Menschen als Muttergöttin erkannt, geliebt und verehrt zu werden. Von der deutschen Seite (Nordseite) her hat er einen einprägsamen Doppelgipfel, der an einen weiblichen Busen erinnert. Von der österreichischen Seite (Südseite) ist er zusammen mit dem Pilgerschrofen ein dreigipfeliger Berg. Die drei Gipfel repräsentieren eine Form von Drei-Einigkeit, was den drei Aspekten der Muttergöttin entspricht.

 

Namensverwandtschaften

 

SELUN ist der heilige Berg im Toggenburg/Schweiz. "SESAM öffne dich", ist die Öffnungsformel für einen Berg. SÄULING ist der heilige Berg im Allgäu/Außerfern. SIMILAUN ist der heilige Berg in den Ötztaler Alpen. SIMSALABIM ist ein Zauberspruch für Verwandlung. Die Namen und Wörter klingen nicht nur ähnlich, sondern sie lassen sich auch als zentrale Aussage des "Tor-Öffnungs-Rituals" beim Weltenwechsel der Schamanen in eine andere Ebene von Realität, Bewußtsein und Extase deuten.

 

Doppelfunktion

 

Der Säuling hat/hatte also eine spirituelle Doppelfunktion:

- Er ist/war zum einen zusammen mit dem Lech die bedeutendste landschaftliche Manifestation der Muttergöttin

- Er ist/war zum anderen der heilige schamanistische Berg, der die Funktion der Weltensäule hat, über die man die Grenze zu anderen Welten in hervorragender Weise überschreiten kann.