Die Klage von Füssen

Es war früher häufiger Volksglaube, dass bevorstehende Todesfälle durch allerlei Anzeichen vorausgekündet würden. In Füssen geschah dies gewöhnlich durch die "Klage", die darin bestand, dass zur mitternächtlichen Stunde ein Zug Klagefrauen mit großrandigen Filzhüten von schwarzer Farbe in großen, langen, weißen Hülltüchern, deren Enden sie über den Rücken hängen hatten, über die Lechbrücke geschritten kamen und jammernd und weinend vor das Haus zogen, in dem ein Menschenleben zur neige ging.

Nicht allen Leuten ward der schauerliche Zug sichtbar; wer aber hierzu die Eigenschaften hatte, konnte ihn gewöhnlich deutlich sehen und vernehmen, und schnell verbreitete sich dann zum Schrecken der Betroffenen die Kunde: Man hat die Klage gehört, es wird bald jemand von dem und dem Hause sterben.

Nach anderen Versionen bestand die Klage aus sechs Männern, wovon vier einen Sarg trugen, während einer weinend und klagend vorausschritt und ebenso einer nachfolgte. Der Zug kam durch die Vorstadt hindurch und schritt zum Friedhof.

Der Kontakt zu Sterben und Tod ist heute den meisten Menschen nahezu vollständig genommen worden. Damit verbunden ist die fehlende Einsicht, dass das Sterben ein umfassender Verwandlungs- und Veränderungsprozess ist. Also kein punktuelles Ereignis, sondern ein sich meist langsam anbahnender Vorgang. Nicht nur ein Mensch stirbt allein, sondern das ganze Umfeld wird ergriffen. Umso mehr eine Verbundenheit der Gemeinschaft mit dem Sterbenden bestand, um so größer war die Anteilnahme aller spürbaren Ebenen der Wirklichkeit daran. Die "Klage von Füssen" ist ein manifester Ausdruck dieser Anteilnahme und weit mehr, als eine manifestierte Vorahnung.

Der Schleier ist aus den Frauentrachten in Europa verschwunden. Der Schleier symbolisiert ein Geheimnis, das Unergründliche und das Verborgene. Er ist das Attribut mehrerer Göttinnen. Für Frauen ist er heute nur noch vereinzelt in Gebrauch als "Brautschleier" oder als "Trauerschleier". Also bei Ereignissen, die eine tiefe Bedeutung im Leben haben.

Die Sage hat auch einen geschichtlichen Hintergrund. Georg Gossenbrod, ca. *1445 - + 1502 war Finanzberater des Kaisers Maximilian I. Vor seinem Tod richtete Gossenbrod in Füssen eine Stiftung für "Versehprozessionen" ein. Durch diese Stiftung waren die Kosten dafür abgedeckt, dass der Pfarrer zu Sterbenden kam und ihnen die letzte Ölung spendete.