Wilde Fräulein Schattwald

In dem wilden Geschröfe am Fallstrudel unterhalb Schattwald, wo die Vils durch eine tiefe Schlucht fließt und einen prächtigen Wasserfall bildet, hausten ehedem wilde Fräulein. Sie lebten da in einer Höhle in der Felswand der Schlucht. Öfters sah man sie kochen, wobei der Rauch aufstieg, auch ein Seil spannen und daran die Wäsche aufhängen, und zuweilen hörte man sie wunderschön singen, dass man nicht genug horchen konnte. Manchmal walndelten sie sogar uneinander und kamen herauf bis Kappel. Später sind sie verschwunden, niemand weiß weshalb. Ein solches wildes Fräulein, erzählt eine andere Sage, kam auch einmal, als das Guggähle in den Wiesler Feldern hinter dem Pfarrhof jätete. Das Fräulein, das seltsamer Weise buddelnackt war, ließ sich auf die Knie nieder und jätete, ohne ein Wörtlein zu sprechen, oben am Flachsfeld mit größtem Fleiß und Geschick, während das Guggähle unten jätete, und bis dieses zum Mittagessen ging, hatte jenes schon ein viel größeres Stück als sie gejätet. Da bekam das Guggähle Mitleid mit dem fleißigen, aber nackten Fräulein und so nahm sie nachmittags ein Hemd mit und bot es ihm an. Das Fräulein nahm das Hemd abends mit, kam aber dann nie mehr.

Diese Fräulein konnten sich unsichtbar machen und kamen dann oft in die Häuser, ohne dass man sie bemerken konnte. Einmal hatte ein Bauer von Kappel ein Paar Ochsen verkauft und trug nun das Joch heim. Wie er zu Staiger Kirchweg kam, hörte er eine Stimme rufen: "Jochtrager, sag der Gstutzte Mutz, Loringg sei gstorben!" Wie er das daheim erzählt, ging es da doch hinterm Ofen an ein Heinen und Jammern und Schreien, dass es für jedermann recht traurig zum Anhören war und doch sah man nicht im mindesten jemanden.

Reiser

Die Sagen von den wilden Fräulein erinnern an eine alte Frauenkultur in den Alpen.