Kirchgang Madautal

Kirchgang aus dem Madautal

Früher lebte im Madautal ein altes Mütterchen, welches an den Sonntagen nicht mehr den dreistündigen Weg nach der Pfarrkirche, die in Elbigenalp gestanden, machen konnte, auch sonst schon schwach und gebrechlich war, daher betete es jedes Mal drei Vaterunser dafür. Der Pfarrer von Ebigenalp war ein strenger Seelenhirte und schickte ihr die Aufforderung zu, zum sonntäglichen Gottesdienst zu kommen. Das Mütterchen gehorchte sogleich dem Gebot und wanderte am nächsten Sonntage bei schrecklichem Sturm und Regen nach der Kirche und stellte sich auch im Widum ein. Der Pfarrer schalt die Alte wegen Lauheit und fragte, wie viel sie statt sonntäglichem Kirchengang gebetet habe. "Drei Vaterunser!" war die Antwort. "Und wie viel habt ihr am Wege hierher und in der Kirche gebetet?", fragte der geistliche Herr weiter. "Auch drei Vaterunser!" antwortete das Mütterchen.

Das dünkte dem strengen Seelenhirten zu wenig. Aber das Weiblein - den Schweiß von der Stirne wischend - sprach: "Es hat alles seine Sach, und es gilt, wie und wann und wo man betet; bei meinem Alter, in unserm Tal drin, bei solchem beschwerlichen Weg und wilden Wetter sind drei Vaterunser mehr wert, als wenn anderswo alle Leute zusammen durchs ganze Tal hinaus beten würden." Das bezweifeltete aber der Pfarrer und da hängte das Weiblein zum Zeichen der Wahrheit seinen noch aufgespannten Regenschirm in die Luft, und dieser blieb wirklich in der Luft hängen. Da kam nun alles Volk zusammen, und der Pfarrer und das Volk erkannten, was das glückliche Tal Madau für Leute beherberge und was drei Vaterunser, recht gebetet, wert seien und wirken können; hierauf ging das Weiblein heim, und alle priesen den Herren, der ihnen das Wunder gezeigt hatte.

Diese Sage hat einen ungewöhnlichen Ausgang. In den meisten Sagen wird die Vernachlässigung des Kirchganges durch schwere göttliche Strafen bis hin zur Versteinerung vergolten. Hier jedoch gibt das Wunderzeichen dem alten Weiblein recht und stellt den strengen Pfarrer bloß. Das Motiv des hängenden Regenschirms und der tiefen Gläubigkeit erinnern an die Lebenslegende um die Hl. Notburga, die ihre Sichel an einen Sonnenstrahl hängte. Die Sichelform kann ein Hinweis auf die Verehrung der Mondgöttin sein.